So spontan fällt keinem von uns eine vernünftige Antwort auf die Frage ein, ob er jemals eine schönere Runde gefahren ist. Und nicht nur, dass diese Runde in punkto Landschaft und Topographie traumhaft ist, in unserem Fall hat sie auch eine ordentliche Portion Pionier- und Abenteuergeist erfordert. Doch dazu später mehr.
Ausgangspunkt dieser Traumrunde ist Mediis, ein kleines Dorf, das zur Gemeinde Socchieve gehört und unmittelbar an der Carnica (SS52) liegt, die das Tagliamentotal mit dem Cadore verbindet. Parkmöglichkeiten gibt es im Ortskern.
Nach wenigen hundert Metern talein auf der Hauptstraße kann man diese gleich nach einer Brücke Richtung Priuso - Passo Rest schon wieder verlassen. Priuso ist dann für längere Zeit die letzte ernstzunehmende Ortschaft und die nächsten knapp 30 Kilometer verlaufen durch weitgehend unberührte Landschaften. Zwei einsame Straßen durchqueren diese östlichen Ausläufer der Friulaner Dolomiten, und diese beiden Straßen lassen das Rennradlerherz höher schlagen.
Ein erster kurzer Anstieg bringt uns hinüber ins Tagliamentotal. Der Tagliamento ist einer der letzten Wildflüsse der Alpen und auf seinen 170 Kilometern auf dem Weg zur Adria kaum verbaut mit genügend Platz, sich seinen Weg durch das breite Schotterbett zu suchen. Ausgerechnet hier, wo wir ihn überqueren, befindet sich allerdings eines der wenigen Kleinkraftwerke, was der Schönheit des Flusses aber kaum einen Abbruch tut.
Und dann beginnt der einzigartige Passo Rest. Die 550 Höhenmeter in moderater Steigung, die es über neun Kehren zu überwinden gilt, sind es allerdings nicht, die ihn so speziell machen, sondern vielmehr die absolute Einsamkeit, durch die man radelt, die herrlichen Blicke auf den naturbelassenen Tagliamento und die völlig unberührte Landschaft, die ihn umgibt. Zumindest ein ordentliches Pass-Schild hätte sich der Anstieg schon verdient, das gibt es, wenn auch unscheinbar und etwas mitgenommen, nur in der Gegenrichtung.
Die Abfahrt auf der anderen Seite ist genauso schön wie die Auffahrt, allerdings noch wesentlich kurvenreicher. Auch von dieser Seite ist der Passo Rest ein absoluter Traumanstieg.
An den Ortschaften Tramonti di Sopra und Tramonti di Sotto vorbei erreicht man den Lago di Redona, einen schön gelegenen Stausee, wo man bei erster Gelegenheit links Richtung Clauzetto abbiegt.
Es geht durch ein einsames Tal in moderater Steigung flussaufwärts, wobei der Bach zur Linken immer wieder kleine nette Schluchten bildet. Nach der Ortschaft Campone nimmt die Steigung zu. Schmal und eng zieht die Straße 200 Höhenmeter nach oben, und nachdem man die engste, tief eingeschnittene Stelle passiert hat, ist man auch schon oben. Nach kurzer Abfahrt kommt man nach Gerchia, wo man, wenn man links abbiegt, die Runde um einige Kilometer verkürzen kann. Hält man sich rechts, kommt man kurz darauf an der schon zu prähistorischen Zeiten besiedelten Grotta verde di Pradis vorbei, deren Besuch man sich mit Radschuhen aber drei Mal überlegen sollte. Nach drei weiteren Kilometern erreicht man Clauzetto, das sich vollmundig als Balcone del Friuli bezeichnet. Nicht ganz zu Unrecht übrigens, denn der Blick über die friulanische Tiefebenen und das Bett des Tagliamento sind schon beeindruckend. Auf den erhofften Espresso müssen wir angesichts des Trubels im Ort, der sich in einen einzigen großen Jahrmarkt verwandelt hat, verzichten und wir setzen die Runde hinauf nach Pradis di Sopra fort.
Bei einer Kreuzung mit einer kleinen Kapelle nimmt man eine kleine Straße, die rechts abzweigt (Wegweiser Zates Mineres, Clus). Diese winzige, aber durchgehend asphaltierte Straße schlängelt sich märchenhaft hinunter zur Hauptstraße (SP1), die uns zurück Richtung Norden bringt.
Aber Hauptstraße heißt hier nach wie vor absolute Ruhe, nur ganz gelegentlich begegnet uns ein Auto. Die Straße führt immer am Fluss Arzino entlang, der mit seinem glasklaren Wasser immer wieder schöne Badegumpen bildet und wegen seiner Klammen im unteren Teil sowohl bei Paddlern, Canyoning-Begeisterten als auch Tauchern beliebt ist.
Es geht zunächst mehr oder weniger flach talein bis San Francesco, wo wir den in Clauzetto nicht bekommenen Espresso nachholen. Ab San Francesco geht es dann wieder bergauf, allerdings in recht moderater Steigung. Nach knapp sieben Kilometern erreicht man eine Kreuzung. Die gut ausgebaute SP1 zieht rechts hinauf über die Sella Chianzutan hinüber nach Tolmezzo, wir aber nehmen die wesentlich rustikalere geradeaus verlaufende Straße Richtung Val di Preone.
Die Straße ist ab hier wieder flacher, die großen Steigungen der Runde sind vorüber und trotzdem sollte die Hauptschwierigkeit des heutigen Tages unmittelbar bevorstehen: denn völlig unvermutet ist die Weiterfahrt durch die Altschneereste einer Lawine versperrt. Das Hindernis ist rasch überwunden, wir machen große Augen, hier südseitig auf nur 700 Metern Seehöhe am 1. Juni auf Schnee zu treffen, nur um hinter der nächsten Kurve auf eine unvergleichlich größere Lawine zu treffen. Von der Straße ist hier auf hundert Metern nichts mehr zu sehen und wir stehen etwas ratlos vor den Schneemassen. Das demokratische Pat, zwei sind für sofort umkehren und Umweg in Kauf nehmen, zwei sind für Ruhe bewahren und Möglichkeiten abwägen, hilft uns auch nicht weiter, bis schlussendlich Wasti sein Rad schultert und als erprobter Alpinist, mit den Rennradschuhen die Schneemassen zu überqueren beginnt. Wir andern folgen mit Respektabstand. Trotz aller Bedenken funktioniert die Überquerung ganz gut und wir können die Runde doch noch wie geplant fortsetzen.
Bald ist die Sella Chiampon erreicht, das Tal wird offener und man radelt durch die sanften Wiesen und Felder des Valle di Preone. Nur eine enge steile Abfahrt, die definitiv ein Grund ist, die Runde nicht in der Gegenrichtung zu fahren, trennt uns noch vom Tagliamentotal. Man passiert Preone und Socchieve, selbst die 20%ige Steigung unmittelbar nach Socchieve kann uns nichts mehr anhaben und wir erreichen erschöpft aber glücklich Mediis. Trotz der "nur" 86 Kilometer und 2200 Höhenmeter eine wunderschöne und nicht nur wegen der Lawinenüberquerung anspruchsvolle Runde.
Mediis, Via Roma vor dem Rathaus
Mediis - Priuso - Passo Rest - Tramonti di Sotto - Campone - Clauzetto - San Francesco - Pozzis - Socchieve - Mediis
Nicht zu früh im Jahr - damit man nicht das gleiche Lawinenschicksal wie wir erleidet.