Obwohl die Straßen auf den Monte Zoncolan bereits in den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts angelegt wurden, hat es doch bis zum Jahr 2003 gedauert, dass der Zoncolan vom Giro entdeckt und erstmals in die Routenplanung aufgenommen wurde. Sechs Mal war er seither Etappenziel und hat sich trotz dieser kurzen Geschichte in den Olymp des Radsports hinauf gearbeitet. Er wird mittlerweile in einem Atemzug mit den bekanntesten Anstiegen im Profi-Peloton genannt und warum das so ist hat zwei einfache Gründe: erstens seine unbarmherzige Steilheit, die ihresgleichen sucht - gemeinhin gilt die Westrampe des Zoncolan als der schwerste Anstieg im Profi-Zirkus. Und zweitens wegen seiner Naturarena im Zielbereich, wo sich bei einer Bergankunft jeweils mehr als 100.000 Tifosi versammeln, um wie in einem Amphitheater ihren Helden auf dem letzten Kilometer zu huldigen.
Diese einzigartige Stimmung am Berg ist auch für uns ein nicht zu widerstehender Anreiz, der 14. Etappe des Giro d’Italia 2018 unsere Aufwartung zu machen. Und natürlich gilt es zuvor die unerhört steile Westrampe, die auch Stunden vor dem erwarteten Profifeld schon dicht gesäumt mit Zusehern aus aller Herren Länder ist, zu bezwingen. Die Westauffahrt von Ovaro ist die eindeutig schwerste der drei Straßen auf den Zoncolan. Zwar sind die Durchschnittssteigung von 11,5% über die gesamten zehn Kilometer und die Maximalsteigung von 23% schon furchteinflößend genug, der brutale Mittelteil mit durchschnittlich 15% auf sechs Kilometern und 19% über einen ganzen Kilometer stellt aber alle bisher erlebten Schwierigkeiten in den Schatten.
Doch der Reihe nach. Anderes als die Profis gestalten wir die Anfahrt deutlich kürzer mit weniger vorangehender Bergwertungen. Ein Monster am Tag reicht.
Ausgangspunkt ist Tolmezzo, genauer gesagt der Ortsteil Casanova am westlichen Ufer des Flusses But. Die Hauptstraße vermeidend geht es über Zuglio und Arta Terme, einen schon zur Antike für seine Schwefelquellen bekannten Badeort, nordwärts bis Sutrio. Hier wartet dann aber auch für uns eine Bergwertung der dritten Kategorie. Die 400 Höhenmeter der Sella Valcalda wollen auf dem Weg zur Westseite des Zoncolan bezwungen werden. Die Schwierigkeiten halten sich aber zum Glück in Grenzen und so sind Passhöhe beim Ort Ravascletto und die Talstation des Zoncolan-Liftgebietes, wo schon Zuschauermassen in die Gondeln gezwängt werden, bald erreicht.
Es folgt eine schnelle Abfahrt. Bevor man allerdings den Talboden erreicht, kann man in Maranzanis auf eine kleine Straße abzweigen, die einen über Clavais nach Liariis bringt. Man gewinnt eindeutig an landschaftlicher Schönheit und spart sich so einiges an Verkehr, allerdings nicht an Anstrengung. Zwar kürzt man die ersten 1,5 Kilometer des Anstieges von Ovaro bis Liariis ab, doch die vermeintliche Abkürzung weist einige Steilpassagen auf, die schon einen Vorgeschmack auf das noch zu Erwartende geben.
In Liariis kann man noch einmal kurz durchschnaufen, bevor es dann nach einem letzten Flachstück so richtig ernst wird. Auch Stunden vor dem Eintreffen der Profis ist der gesamte Anstieg schon gut besucht und der Bierkonsum kennt trotz der Vormittagsstunden kein Halten mehr. Ob diese Partystimmung jetzt mehr hilft oder bremst, darüber scheiden sich die Geister. Uns jedenfalls kann nicht einmal ein kurzes Hagelgewitter an der erfolgreichen Bezwingung des Zoncolan hindern, auch wenn diese Straße zweifellos die härteste und steilste ist, die ich kenne. Die letzten drei Kilometer legt sich die Straße dann etwas zurück, und nachdem der letzte der drei schwach beleuchteten Tunnels durchquert ist, befindet man sich im Zielkessel, was noch einmal ordentlich Adrenalin freisetzt.
Frühzeitig vor der prognostizierten Zielankunft ist es sogar noch möglich gute Plätze mit freier Sicht auf die letzten Serpentinen, den Zielbereich und die Video-Wand zu ergattern, doch trotz einer stärkenden Bratwurst merkt man doch, dass man sich hier auf 1700 Metern Seehöhe befindet. Temperaturen im einstelligen Bereich, unangenehmer Wind und immer wieder über uns hinwegziehende Schauer vertreiben uns vom Berg. Alle Achtung vor all den Hartgesottenen, die ungeachtet dieser Bedingungen durchhalten und beharrlich warten.
Wir jedenfalls komplettieren die Zoncolan-Überquerung und fahren die Ostrampe, über die sich ganze Heerscharen den Berg hinauf quälen, hinunter nach Sutrio, wo wir genüsslich im Warmen bei Pizza und Bier auf die Durchfahrt des Pelotons warten.
Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit zieht der Tross trotz leichter Steigung an uns vorbei und wir sehen uns den Ausgang der Etappe mit allen anderen Pizzeria-Gästen im Fernsehen an. Wenig später rasen auch wir beflügelt vom eben Erlebten talaus Richtung Tolmezzo.
Und jetzt erklärt sich auch der etwas eigenartige Ausgangspunkt. Wenn man nämlich ein nettes Lokal mit ausgezeichnetem Essen sucht, um die Bezwingung des Monte Zoncolan zu feiern, könnte es keinen besseren Platz als die Vecchia Osteria alla Pieve geben, die sich unmittelbar beim Ausgangspunkt befindet.
Tolmezzo, Ortsteil Casanova, SP 21 in Höhe Vecchia Osteria alla Pieve
Casanova - Zuglio - Arta Terme - Sutrio - Sella Valcalda - Maranzanis - Clavais - Liariis - Monte Zoncolan - Sutrio - Tolmezzo - Casanova