Es gibt schöne Rennrad-Runden und es gibt schönere. Und dann gibt es noch die, wo einem die Superlative ausgehen. Genau so eine ist diese traumhafte Runde durch Madeiras wilden Nord-Westen. So kurz, dass kein einziger Meter langweilig wird, so schwer, dass jeder auf seine Kosten kommt, so schön, dass einem die Landschafts-beschreibenden Adjektive fehlen und so abenteuerlich, dass ohne eine ordentliche Portion Pioniergeist gar nichts geht.
Erst Mitte des letzten Jahrhunderts wurde die Küstenstraße, die Sao Vicente mit Porto Moniz verbindet, der Steilküste abgerungen. Hoch aufragende Klippen, Urwald und herabstürzende Wasserfälle zur einen und der tosende Atlantik zu anderen Seite: da bleibt kaum Platz für eine Straße, geschweige denn für Ortschaften und Landwirtschaft. Diese kleine abenteuerliche Straße war bis zum Bau der neuen ER101 zur letzten Jahrtausend-Wende tatsächlich die Hauptverbindungsstrecke nach Porto Moniz, und wie wild diese Nordküste ist, zeigt sich daran, dass die Natur nur wenige Jahre gebraucht hat, um sich diese Straße wieder zurück zu holen.
Seit ca. zehn Jahren wird diese Straße nicht mehr gepflegt und diese Zeit hat ausgereicht, sie auf wesentlichen Bereichen unfahrbar zu machen. Teilweise nur durch leicht zu überwindende Ketten und Warntafeln abgetrennt, ist der gefährlichste Bereich sogar durch eine hohe Betonmauer unzugänglich gemacht worden. Bis auf diesen abgesperrten Bereich kurz vor Seixal bin ich beim Einfahren dieser Runde (Februar 2018) durchwegs auf der alten Straße gefahren. Vor allem aber die ersten beiden Abschnitte gleich nach Sao Vicente sind in einem so schlechten Zustand, Geröll-übersät, nass, rutschig und verwachsen, dass eine Befahrung mit dem Rennrad keinen Sinn mehr macht und man besser auf die Tunnelumfahrungen ausweicht.
Die Tunnels sind aber aufgrund des geringen Verkehrs kein größeres Problem und die verbleibenden Abschnitte entlang der Küste sind so schön und lohnend, dass man hier nach wie vor von einer Traumstraße sprechen kann. So wie die Route auf diesem gpx-track verläuft, kann sie derzeit noch guten Gewissens empfohlen werden.
Nach etwa 13 Kilometern in Ribeira da Janela heißt es dann Abschied nehmen von der Küstenidylle und die nächsten gut 20 Kilometer führen uns hinauf auf die Hochebene Paul da Serra, die die westliche Inselhälfte beherrscht und auf die von mehreren Himmelsrichtungen Straßen hinauf führen.
Allen Auffahrten gemeinsam ist, dass sie sehr sehr ruhig sind. So wenig Verkehr wie auf dieser schönen Straße von Ribeira da Janela, ist mir allerdings nur selten begegnet. Kilometerlang schlängelt sich die perfekt ausgebaute Straße durch die Lorbeerwälder, ohne dass man irgendwen zu Gesicht bekommt. Zeit genug, sich darüber zu freuen, hat man auf jeden Fall. Denn auch, wenn der Anstieg vor allem im oberen Bereich zunehmend leichter wird, gilt es doch fast 1600 Höhenmeter zu überwinden und die wollen nicht zu forsch angegangen werden.
Schließlich ist man aber doch oben auf der fast nordisch anmutenden Hochebene, wo die Urwälder längst zurückgelassen wurden und Gräser und flacher Strauchbewuchs das Bild prägen.
Über einige nicht enden wollende Geraden erreicht man den höchsten Punkt. Die Straße wendet sich Richtung Süden und eröffnet phantastische Blicke auf die tief unten liegende Küste. Allzu lange bleibt aber nicht Zeit zum Genießen, denn es wird wieder spannend. Spannend, ob die Runde, so wie hier beschrieben möglich ist, oder man sich eine Alternativstrecke überlegen muss. Die grundsätzlich sehr gut ausgebaute Straße hinunter zum Encumeada-Pass war nämlich in den letzten Jahren immer wieder wegen Felsstürzen und Waldbränden gesperrt. So auch zum Zeitpunkt dieser Befahrung. Die Absperrungen zu ignorieren und diese somit autofreie Straße zu befahren, kann aber natürlich nicht so ohne weiteres empfohlen werden und das Risiko muss jeder selbst abwägen.
Sollte die Straße aber offen sein oder falls man sich wagemutig darüber hinweg setzt, erwartet einen ein Landschaftserlebnis der ganz besonderen Art. Immer wieder von Geröll und Felsbrocken übersät - eine Befahrung stellt aber kein größeres Problem dar - windet sich die Straße die steilen Berghänge entlang und eröffnet phänomenale Blicke auf das die östliche Inselhälfte einnehmende schroffe Zentralgebirge. Eine schönere Straße bin ich selten gefahren!
Nach Erreichen des Encumeada-Passes ist die Abfahrt noch nicht zu Ende. Es fehlen noch zehn Kilometer und 1000 Höhenmeter hinunter nach Sao Vicente. Und das bedeutet nur eines: Rennrad-Spaß vom Feinsten im Madeirischen Urwald. Ein würdiger Abschluss dieser großartigen Runde.
Sao Vicente, öffentlicher Parkplatz neben der ER104 knapp vor der Küste
Sao Vicente - Seixal - Ribeira da Janela - Paul da Serra - Boca da Encumeada - Sao Vicente
Die alte Küstenstraße ist teilweise in einem sehr schlechten Zustand und kann nur noch teilweise befahren werden. Ausweichen kann man auf die neue ER101, die allerdings hauptsächlich unter der Erde verläuft.
Die großartige Straße von der Hochebene Paul da Serra hinunter zum Encumeada-Pass ist wegen Waldbränden und Steinschlägen immer wieder gesperrt. Von vielen Radfahrern wird sie trotzdem befahren, was aus Sicherheits- und Haftungsgründen aber nicht empfohlen werden kann.
Radlichter wegen einiger problemlos zu befahrender Tunnels