Weder besonders hoch ist er, noch besonders schwer. Er hat auch keine glorreichen und schmerzerfüllten Heldengeschichten vom Giro d’Italia zu erzählen. Und auch auf der Wunschliste des engagierten und weit herum kommenden Genuss-Fahrers sucht man ihn meist vergebens. Dieses Schattendasein hat sich der Passo di San Boldo mit Sicherheit nicht verdient. Für uns jedenfalls ist er eine absolute Attraktion, deren Befahrung immer wieder lohnend ist. Gemeinsam mit der knüppelharten Nordseite des benachbarten Passo Praderadego bilden diese zwei Pässe eine unvergessliche Runde, die einen noch lange schwärmen lässt.
Der Passo di San Boldo verbindet das Val Mareno in der Prosecco-Region mit dem nördlich gelegenen Val Belluna, durch das die Piave fließt. Während die Anfahrt von Norden ein logischer Passübergang ist, mutet es schon ziemlich verwegen an, eine Straße durch die nahezu senkrechte Felswand auf der Südseite zu planen und auch zu verwirklichen. Wenn man sich dann noch dazu vor Augen führt, dass diese Straße in nur drei Monaten gegen Ende des ersten Weltkrieges zur Versorgung der Piave-Front aus dem Fels gesprengt wurde, kann man sich die Entbehrungen und das Leid der großteils zwangsweise rekrutierten Arbeiter vorstellen. Der Beiname “Straße der 100 Tage” kommt also nicht von ungefähr.
Um schweres Kriegsgerät transportieren zu können, durfte die Steigung zwölf Prozent nicht überschreiten. Das konnte nur erreicht werden, indem die Kehren des obersten Abschnitts durch enge Tunnels geführt wurden. Welch imposante Straßenführung!
Vom Ausgangspunkt in Tovena geht es von Beginn an bergauf. In moderater Steigung geht es ein kurzes und enges Seitental des Val Mareno hinein, bevor nach nur einem Kilometer die ersten Kehren beginnen. Je höher man kommt, umso mehr fragt man sich, wohin in diesem felsumrahmten Talschluss die Straße hinführen soll. Und unvermittelt türmen sich dann die Kehren, Brücken und Tunnels über einem auf. Ein außergewöhnliches Raderlebnis, dass dank der LKW- und Bussperre, sowie der Ampelregelung für PKWs noch dazu recht exklusiv zu genießen ist.
Allzu bald ist die Passhöhe erreicht und man fragt sich, was nach diesem phänomenalen aber nur sechs Kilometer langen ersten Teil noch kommen soll. Aber noch hat die Runde ihr Pulver nicht gänzlich verschossen.
Es folgt zunächst eine panoramareiche Abfahrt hinunter ins Val Belluna mit phantastischen Blicken in die Belluneser Dolomiten und nach einem kurzen Flachstück folgt schon der nächste Abschnitt. Und der hat es in sich. Zunächst geht es noch wellig zurück Richtung Süden, doch ab dem Weiler Valmaor ist es vorbei mit der Ruhe. Zwar sind “nur” etwas über 400 Höhenmeter auf den nächsten vier Kilometern zu überwinden, doch bereits die erste Rampe sprengt locker die 20% Marke und sie ist beileibe nicht das schwerste der noch folgenden Steilstücke. Liebhaber rhythmischer und gleichmäßiger Anstiege werden hier nicht glücklich, doch ohne die flacheren Meter wäre der Anstieg kaum zu bewältigen.
Während die Nordrampe mehr oder weniger kurvenlos durch die einsamen Wälder nach oben zieht, präsentiert sich die Südseite, die es nun hinunter geht, wesentlich abwechslungsreicher. Zahlreiche Serpentinen schlängeln sich durch die teilweise überhängenden Felswände hinunter nach Cison di Valmarino, von wo man vorbei am mächtigen Castel Brando in wenigen Kilometern den Ausgangspunkt erreicht.
Zu erzählen gibt es von dieser Runde auf jeden Fall reichlich.
Tovena, Piazza della Vittoria
Tovena - Passo di San Boldo - Sant’ Antonio di Tortal - Trichiana - Pellegai - Carve - Passo Praderadego - Cison di Valmarino - Tovena
zahlreiche Tunnels am Passo di San Boldo: Radlichter nicht vergessen.