Wenn man an Rennradfahren in der Toskana denkt, hat man nicht unbedingt Landschaften wie die, durch die diese Runde führt, im Kopf. Abseits der Touristenpfade von Montalcino, Pienza und Montepulciano führt diese Runde durch dünnst besiedelte, bewaldete oder von Strauchwerk überzogene Hügel. Eine karge, raue Landschaft dominiert und von Weinbergen, mondänen Städten und sich sanft im Wind wiegenden Zypressen-Alleen ist auf einem Großteil der Runde nichts zu sehen. Aber wahrscheinlich ist es gerade dieser herbe Charme der diese Runde zu einem Rad-Erlebnis macht, das einem lange in Erinnerung bleibt.
Hinzu kommt, dass man, wenn man San Quirico in südlicher Richtung verlässt, die weithin sichtbare Burg von Radicofani stets vor Augen hat. Mächtig und furchteinflössend thront sie auf einem Basaltfelsen und man kann sich gut vorstellen, dass Reisende im 13. Jahrhundert ob des dort oben hausenden Raubritters Ghino di Tacco den Weg in den Süden mit einem mulmigen Gefühl angetreten sind. Da er vorwiegend Wohlhabende ausraubte, während er arme Durchreisende verschonte, ist er als eine Art Robin Hood der Toskana in die Literatur eingegangen.
Da wir keine großen Reichtümer, sondern lediglich ein paar Euros für den obligaten Espresso eingesteckt haben, macht uns der Raubritter weniger Sorgen, als der dazugehörige Anstieg hinauf nach Radicofani. Jedenfalls trägt auch diese Geschichte zum düsteren Reiz der Runde nicht unwesentlich bei.
Und so verlassen wir San Quirico in südlicher Richtung. Für knapp zwei Kilometer müssen wir auf die Via Cassia, um dann links auf die ruhige Landstraße SP53 abzubiegen. Einige Kilometer zum Scherzen und Aufwärmen bleiben noch, bevor der Hauptanstieg des Tages nach Radicofani beginnt.
Allerdings folgen wir kurz vor Beginn des Anstieges bei einer Kreuzung nicht dem direkten Weg nach Radicofani, sondern biegen rechts ab. Über einige Serpentinen geht es relativ gemütlich hinauf nach Contignano. In dem verschlafenen Nest stoßen wir auf eine zehnköpfige Palmsonntags-Prozession, die sich von uns genauso überrascht zeigt wie wir von ihr. Wir grüßen uns gegenseitig respektvoll und jede Gruppe setzt ihren Weg fort, denn den Kirchgang lassen wir heute ausfallen.
Nach einer doch deutlich steileren Rampe kommt man auf eine schöne, sich am Hügelkamm dahinschlängelnde Straße, die uns zum Fuß des letzten Aufschwungs führt. Doch auch diese letzten fünf Kilometer des Anstiegs sind dank der schönen Blicke auf den nahen Monte Amiata zur rechten, beziehungsweise auf den spärlich besiedelten Kessel, in dem irgendwo die Orcia entspringt, zur linken recht kurzweilig und bald geschafft.
Radicofani sollte man nicht auf der komfortablen Umfahrungsstraße passieren, sondern sich die Zeit für einen Abstecher in die mittelalterliche Gassen nehmen. Neben der schönen mittelalterlichen Bausubstanz und der schönen romanischen Kirche aus dem 13. Jahrhunderts gibt es eine Statue des oben erwähnten Volkshelden mit Schild, Schwert und einem abgetrenntem Kopf zu bestaunen.
Wie bis hierher ist auch der weitere Verlauf der Runde quasi verkehrsfrei. Nach einer Abfahrt auf schön geschwungenen Kurven folgen einige Bergauf-Kehren zur ausgeschilderten Orcia-Quelle, von der wir allerdings, da wir uns den mühsamen Weg durchs Unterholz lieber sparen, nichts zu Gesicht bekommen.
Über Sarteano kommt man nach Chianciano Terme, wo man allerdings noch vor Beginn des Ortes links abbiegt. Ein giftiger 13%-Anstieg zum oberen Ortsende muss bezwungen werden und nach einer kurzen Zwischenabfahrt hinunter zu einem kleine Stausee geht es bergauf weiter, wenn auch deutlich flacher.
Beim idyllischen mittelalterlichen Landgut La Foce, wo ein Verkehrsschild schon verheissungsvoll 8%-Gefälle anzeigt, gönnen wir uns nicht den einfachen Weg hinunter ins Orciatal, sondern wir zweigen dem Wegweiser Richtung Montepulciano und Montichiello folgend rechts ab. Liebhaber der toskanischen Straßenkultur kommen dabei ganz auf ihre Rechnung, denn es folgt eine 3 Kilometer lange Strada biancha. Ein Abschnitt zum Genießen, wenn uns nicht ironischerweise ausgerechnet auf diesem Schotterabschnitt mehr Autos begegnen würden, als auf dem gesamten Rest der Runde.
Am Ende de Schotterstraße zweigt man links nach Montichiello ab. Nach einer wunderschönen von Zypressen gesäumten Abfahrt und einem kurzen aber giftigen Anstieg, erreicht man das wunderbare mittelalterliche Städtchen. Wenn das keine Kulisse für den ersehnten Espresso ist. Ein paar Paninis gibt es aufgrund der doch beginnenden Entkräftung dazu.
Ganz hat man es aber immer noch nicht geschafft. Ein letzter 200 Höhenmeter-Anstieg, allerdings belohnt mit einem weiteren Highlight, wartet noch: die sehr schöne Auffahrt nach Pienza. Und auch das als Idealstadt der Renaissance am Reißbrett entworfene Pienza sollte man sich keineswegs entgehen lassen. Statt auf der Umfahrungsstrasse wagen wir auf der Hauptstrasse des Ortes mutig den Slalom durch die Touristenströme, es zahlt sich aus.
Damit haben wir es dann aber doch so gut wie geschafft, denn die letzten Kilometer zurück nach San Quirico bereiten keine größeren Schwierigkeiten mehr.
Ein kühles Bier hat man sich nach dieser Tour auf jeden Fall verdient. Und ein Gläschen Vino nobile sowieso.
San Quirico d’Orcia, öffentlicher Parkplatz am östlichen Ortsrand in der Via dei Fossi
San Quirico - Contignano - Radicofani - Sarteano - Chianciano Terme - Montichiello - Pienza - San Quirico
3 Kilometer Schotterabschnitt zwischen Km 65 und 68