"Wer nie am Ötscher gestanden ist, hat Niederösterreich nicht gesehen." Dieser geflügelte Satz über Niederösterreichs steinernes Wahrzeichen hat schon seine Richtigkeit, beherrscht dieser freistehende Berg mit seinen weitläufigen Wäldern und tief eingeschnittenen Gräben doch das gesamte südliche Mostviertel. Die hier gefundenden reichen Eisenvorkommen haben der Bundesländer-übergreifenden Region Eisenwurzen nicht nur den Namen gegeben, sondern jahrhundertelang das wirtschaftliche Leben der Region bestimmt. Und auch wenn der Gipfel des Ötschers den Wanderern und Bergsteigern vorbehalten bleibt, so muss man obigen Satz für uns Cyclisten halt einfach etwas umwandeln: Wer nie unterm Ötscher vorbeigeradelt ist, hat Niederösterreich nicht gesehen.
Gestartet wird in Wilhelmsburg, gut zwanzig Kilometer südlich von St. Pölten, und die ersten 50 Kilometer verlaufen ohne nennenswerte Schwierigkeiten im sanften, hügeligen Alpenvorland Richtung Scheibbs.
Kurz vor Scheibbs trifft man auf ein kurzes Schotterstück. Die 500 Meter liegen aber schnell hinter einem und der folgende Abschnitt hoch über und dann hinunter in das Tal der Erlauf ist so lohnend, dass man den Schotter ruhig in Kauf nehmen sollte. Alternativ kann dieser Abschnitt ab St. Georgen an der Leys auch auf der B29 nach Scheibbs abgekürzt werden.
Von Scheibbs sind uns bis St. Anton an der Jeßnitz noch ein paar flache Kilometer vergönnt, bevor dann doch der erste, ernstzunehmende Anstieg des Tages wartet.
Die fünf Kilometer und 350 Höhenmeter auf den Schlagerboden sind aber rasch absolviert und noch ehe man Panorama und Landidylle so richtig ausgekostet hat, geht es auch schon wieder hinunter ins Tal und auf der B28, die an sonnigen Wochenenden und Feiertagen durchaus einiges an Ausflugsverkehr aufweisen kann, in weiteren 250 Höhenmetern nach Puchenstuben.
Nach einer kurzen Espresso-Pause wird der zweifellos schönste Abschnitt der Runde in Angriff genommen. Auf schmaler Straße geht es hinunter zur Erlauf und durch den Naturpark Ötscher-Tormäuer wildromantisch durch diese einsame Bergwelt. Man kann sich leicht vorstellen, dass wir hier in einem der wohl dünnst-besiedelsten und naturbelassensten Regionen Österreichs unterwegs sind und in diesen unzugänglichen Wäldern und Schluchten eine Vielzahl an Wildtieren ideale Lebensbedingungen vorfinden. Und tatsächlich war es in dieser Gegend, dass 1842 der vorläufig letzte österreichische Braunbär erlegt wurde. Nach 150 Jahren bärenloser Zeit, lebten in den 90er Jahren im Rahmen eines Wiederansiedelungsprogrammes noch einmal bis zu zehn Braunbären rund um den Ötscher. Heutzutage gibt es allerdings neuerlich, bis auf Fraßspuren einzelner, durchwandernder Individuen keine Hinweise auf dauerhaft hier lebende Bären. Unsere Suche nach den legendären Ötscherbären war also von vornherein zum Scheitern verurteilt, ein Umstand, der der Schönheit der Runde aber kaum etwas anhaben kann.
Von Erlaufboden heißt es noch einmal 250 steilere Höhenmeter hinauf in den Annaberger Ortsteil Lassingrotte zu meistern, dann sind die großen Schwierigkeiten der Runde aber vorbei. Zwar liegt der höchste Punkt der Runde noch 15 Kilometer und 200 Höhenmeter vor uns, die Steigungen halten sich aber so zurück, dass man nach Belieben aufs Tempo drücken, oder es in den einsamen Wäldern entspannt angehen kann.
Kurz nach Erreichen des höchsten Punktes wird man für ein kurzes Stück von einem kleinen Bächlein begleitet. Hierbei handelt es sich um den Quellfluss der Salza, die zu den naturbelassensten Flüssen der Ostalpen gehört und vor allem wegen ihrer steirischen Abschnitte bei Kanuten, Fischern und Wanderern gleichermaßen bekannt und beliebt ist.
Von jetzt an geht es die noch verbleibenden 50 Kilometer aber tatsächlich nur noch bergab, wobei man das geringe Gefälle ab St. Aegyd am Neuwalde nur insofern merkt, als man für eine vermeintlich flache Straße ungewohnte Geschwindigkeiten erzielt. Und so kann man bis zum Ausgangspunkt die Durchschnitts-Geschwindigkeit noch einmal ordentlich nach oben schrauben. Wer es allerdings eher ruhig angehen lassen will, nimmt besser nicht die Bundesstraße, sondern spätestens ab Lilienfeld den durchwegs asphaltierten Traisental-Radweg.
Wilhelmsburg, Parkplatz am Stadtpark
Wilhelmsburg - Texing - Scheibbs - St. Anton an der Jeßnitz - Schlagerboden - Puchenstuben - Erlaufboden - Lassingrotte - Sägemühle - Ulreichsberg - Gscheid - Kernhof - St. Aegyd am Neuwalde - Lilienfeld - Traisen - Wilhelmsburg
500m Schotterabschnitt kurz vor Scheibbs