Wann ist die beste Jahreszeit für Rennradtouren in den Dolomiten? Der Sommer hat den Vorteil der angenehmen Temperaturen. Immerhin befinden wir uns im Hochgebirge und auch diese Tour schraubt sich auf beachtliche 2320 Meter Seehöhe, da ist auch im Sommer eine Jacke für die Abfahrt kein Fehler. Frühling und Herbst wiederum haben den Vorteil, dass man die zur Hauptsaison gnadenlos überfüllten Strassen praktisch für sich alleine hat und vier- und zweirädrige motorisierte Ausflügler noch nicht oder nicht mehr anzutreffen sind. Wir haben uns für zweiteres entschieden und nehmen an einem wunderschönen aber doch schon recht kalten Allerseelen-Tag diese einzigartige Runde in Angriff mit der „Superstrada Panoramica“ auf die Auronzo-Hütte als Höhepunkt.
Wir starten in Innichen. Ein guter Ausgangspunkt ist der große öffentliche Parkplatz West in der Via Pizach. Das Zentrum von Innichen lassen wir links liegen und damit auch die beeindruckende Stiftskirche, ihres Zeichens einer der wichtigsten romanischen Sakralbauten des Ostalpenraumens. Wer also nach der Tour noch Muse verspürt oder ein paar Tage hier ist, der sollte dieser Kirche ruhig einen Besuch abstatten. Etwas Kultur und ein kurzes Stoßgebet haben noch keinem geschadet.
Auf teilweise noch reifbedeckten Straßen geht es hinein ins Sextental und von Anfang an zeigt die Runde, was sie kann. Nicht in puncto Schwierigkeit, die hält sich zu Beginn der Runde noch in Grenzen, sondern vielmehr was landschaftliche Schönheit betrifft. Unter der majestätischen Dreischusterspitze vorbei geht es nach Sexten und Moos, wo uns wunderschöne Blicke hinein ins Fischleintal erwarten. Das inoffizielle Wahrzeichen Sextens, die Sextener Sonnenuhr, bildet den atemberaubenden Talabschluss des Fischleintales. Die fünf Gipfel Neuner (2582 m), Zehner (Sextner Rotwand, 2965 m), Elfer (3092 m), Zwölfer (3094 m) und Einser (2698 m) bilden diese einzigartige Bergsonnenuhr. Und angesichts der angenehmen Steigung, die nach Moos zwar etwas zulegt aber immer im moderaten Bereich bleibt, haben wir auch genug Gelegenheit, das Panorama zu genießen.
Die Passhöhe des Kreuzbergpasses, der die Grenze zwischen den Regionen Südtirol und Veneto bildet, ist bald darauf erreicht, und es folgt eine zehn Kilometer lange Abfahrt hinunter nach Padola, dem ersten Ort auf venezianischem Boden. Hier verlassen wir die SS52, fahren durch den kleinen netten Ort, in dem bereits die nächste Steigung beginnt.
Nicht allzu lang und nicht allzu schwer ist diese Auffahrt von Norden auf den Passo San Antonio, lediglich 280 Höhenmeter auf den nächsten vier Kilometern gilt es zu überwinden. Deutlich anspruchsvoller ist da schon die Südseite, aber die geht es in unserem Fall ja hinunter. Mittlerweile hat die Spätherbst-Sonne auch so weit an Kraft zugelegt, dass die Abfahrt hinunter nach Auronzo di Cadore sogar richtig Spass macht, ohne uns vollkommen auszufrieren. Das Cadore-Tal ist übrigens auch als das Tal der Gelatieri bekannt. Von hier stammt nämlich angeblich die Mehrheit der italienischen Eisdielen-Besitzer in Deutschland und Österreich. So warm, dass wir uns von der Kunst der Zurückgebliebenen ein Bild machen wollen, ist es aber doch wieder nicht, und so verzichten wir aufs Gelato und lassen Auronzo und den Stausee Santa Caterina hinter uns und fahren talein ins Val d’Ansiei.
In ganz moderater Steigung fahren wir auf der im Sommer hochfrequentierten, jetzt im Herbst aber praktisch verkehrsfreien SR48 durch eine herrliche Berglandschaft. Die Cadini-Gruppe zur rechten und die mächtigen Massive von Marmarole und Sorapis zur linken führt uns die Straße hinauf auf den Col Sant’ Angelo. Ein Großteil dieses Anstieges ist relativ flach und erst, nachdem die Straße eine weitgezogene Kurve nach Norden gemacht hat, wird es für die letzten Kilometer doch noch spürbar steiler. Kurz vor dem höchsten Punkt folgt man nicht der SR48 Richtung Passo Monte Croce und Cortina, sondern hält sich gerade aus Richtung Misurina und Dobbiaco und erreicht bald den Misurina-See, der sich fast unmittelbar auf der Passhöhe befindet.
Zumindest hier heroben in dem beliebten Ausflugsziel treffen wir einige Ausflügler und gemeinsam mit den anderen Touristen verschwinden wir in einem kleinen Laden, um uns noch einmal vor den noch zu erwartenden Strapazen zu stärken.
Kurz nach dem nördlichen Seeende zweigt sie dann ab, die „Superstrada panoramica“ auf die Auronzo-Hütte, wie uns der Wegweiser bei der Abzweigung verkündet. Und das nicht zu Unrecht. Wunderbare Blicke eröffnen sich vor allem nach Süden und Westen auf Sorapis und das Cristallo-Massiv. Aber auch die vor uns aufragenden Drei Zinnen ziehen die Blicke magisch an, obwohl man eigentlich nur zwei, die Große und die Westliche Zinne zu Gesicht bekommt, da sich die Kleine etwas ängstlich hinter der Großen Zinne versteckt. Diese herrliche Straße ist nicht nur landschaftlich wunderschön und sehr panoramareich, sie ist auch alles andere als einfach. Sie ist schließlich die am höchsten hinaufführende Asphaltstraße der Dolomiten und noch dazu wesentlich schwieriger und steiler, als man es sonst von den Dolomiten gewohnt ist.
Gut 600 Höhenmeter gilt es auf sieben Kilometern zu überwinden und das trotz eines gut 1,5 Kilometer langen flachen bzw. sogar leicht bergab führenden Stückes. Auf den letzten vier Kilometern hält sich die Steigung konstant im zweistelligen Bereich und so verwundert es auch nicht, dass die Auronzo-Hütte schon fünf Mal Etappenziel beim Giro war, das letzte Mal 2007 allerdings mit zwei zwielichtigen Gesellen auf den ersten beiden Plätzen.
Und wenn die Hütte auch nicht am Fuss der berüchtigten Zinnen-Nordwände sondern „nur“ an deren Südseite liegt, so hat das zumindest den Vorteil, dass wir auch im November noch am Nachmittag in der Sonne sitzen, obwohl die Hütte leider nur in der Hauptsaison geöffnet hat.
Eine allzu lange Pause gönnen wir uns dann aber doch nicht, da es zurück nach Innichen noch ein recht ordentliches Stück ist. Große Orientierungsschwierigkeiten gibt es nicht mehr. Es geht zunächst bergab hinunter nach Schluderbach, wo wir an der SS51 rechts abbiegen, und von hier weiter das wunderschöne Höhlensteintal hinaus nach Toblach. Kurz nach dem idyllischen Dürrensee sollte man dann doch noch einmal den Blick vom Hinterrad des Vordermannes heben. Der Blick nach rechts-zurück auf die berühmten Zinnen-Nordwände ist atemberaubend, aber auch der hinter uns liegende Monte Cristallo mit seiner charakteristischen Scharte hat es in sich. Dermaßen beflügelt von der landschaftlichen Schönheit ist Toblach bald erreicht und auf dem Pustertaler Radweg geht es die letzten Kilometer zurück nach Innichen.
Innichen, Parkplatz West in der Via Pizach
Innichen - Sexten - Kreuzbergpass - Padola - Passo San Antonio - Auronzo di Cadore - Misurina - Auronzo-Hütte - Misurina - Schluderbach - Toblach - Innichen